Be prepared!
Von Jan-Erik Baars | August 2019
Sie kennen das Bonmot bestimmt: Zwei Holzhacker mühen sich, mit einer offensichtlich stumpfen Säge einen Baum zu zersägen. Da bietet ein Dritter an, das gute Stück zu schärfen. „Vielen Dank, antworten die beiden, aber dafür haben wir jetzt keine Zeit!“ Vermutlich kennt jeder so eine Situation, wo man lieber weiter macht, als Inne zu halten, um sich für ein besseres Weitermachen vorzubereiten. Man weiss halt nicht genau: Wird sich die Unterbrechung lohnen, wird man die verlorene Zeit wieder aufholen?
Wer wirklich effektiv vorankommen möchte, schaut vor Beginn der Arbeit darauf, ob alle Systeme „scharf“ sind und die bestmögliche Leistung entfalten können. Und bei Anzeichen von Abnutzung und Leistungsabfall zögert man nicht um diese wieder in Stand zu setzen, denn man weiss, dass man die Zeit wieder aufholt und – viel wichtiger noch –, dass das Ergebnis besser sein wird. Wer mit stumpfer Säge arbeitet ist nicht nur langsam, sondern hinterlässt zudem hässliche Schnitte!
Aber warum ist dann dieses Verhalten, trotz der Erkenntnis, so allgegenwärtig? Was hält uns davon ab, umsichtig zu sein und unser Tun gründlich vorzubereiten? Ist es der sogenannte „Action Bias“, wie ihn viele Autoren schon beschrieben haben? Gemäss dieser Theorie sind wir immer bestrebt zu handeln, anstatt uns zurückzuhalten, weil wir eine Neigung entwickelt haben, das Handeln als primären Wertschöpfungsfaktor zu bewerten. Wir glauben fest daran, dass nur durch Handeln etwas von Wert entstehen kann. Wer rastet, der rostet!
Verstärkt wird dieser Bias noch dadurch, dass in vielen Organisationen das Handeln entsprechend belohnt wird. Anreize werden so geschaffen, dass diejenigen, die Resultate vorweisen, die aus eindeutigem Handeln hervor gehen, befördert und gefördert werden. So ergibt sich quasi eine natürliche Selektion, die all jene, die sich lieber gründlich vorbereiten, bevor sie loslegen, aus dem Genpool der Führungskräfte eliminiert. Gewollt sind ‚action (wo)men’ die nicht lange fackeln!
Da kommt die Agilität als Heilsbringer der digitalen Transformation genau zur richtigen Zeit. Nicht nur Führungskräfte fordern Aktion, jetzt sind auch die Prozesse und die zugehörige Unternehmenskultur Aktion-getrieben. Wer nicht ‚agile‘ ist, der verpasst die Gelegenheit, zum richtigen Moment Aktion zu ergreifen, um so der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Doch auch hier geht es vielen wie den fleissigen Holzhackern: Man ist so mit der Agilität beschäftigt, dass man glatt vergisst, was man wirklich damit erreichen möchte. Schnelle Aktion oder gute Resultate, Effizienz oder Effektivität?
Denn auch in der sogenannten agilen Transformation gilt, dass nur demjenigen Erfolg zufällt, der sich gehörig darauf vorbereitet. Schnell und effektiv auf Veränderungen in der Organisation, des Markts oder in der Technologie reagieren zu können, erfordert Erfahrung und Erkenntnis, und nicht Aktionismus. Denn in Wahrheit ist das agile Denken eben nicht ein ‚Aktionsdenken‘ – es ist ein vorbereitendes Denken! Denn nur wer weiss, warum man etwas macht und den Zweck immer vor Augen hat, der kann agil auf Veränderungen eingehen, lässt Belangloses weg, hält Inne, wenn die Werkzeuge ‚geschärft‘ werden müssen: Weil er weiss warum das Unternehmen da ist, wie man im Sinne des Kunden und des Unternehmen handelt und was ein wirkliches Kundenerlebnis ausmacht!
Nur wenn Mitarbeitende und Führungskräfte gleichermaßen auf das Neue vorbereitet sind, können sie wirklich agil handeln und genau dann, wenn die Gelegenheit sich ergibt, diese auch wirklich ergreifen und so wirklich relevanten Mehrwert erzeugen. Nicht weil sie schneller und aktiver sind, sondern weil sie schlauer sind. Nur so entstehen die ‚Moments of truth‘, wo ein Unternehmen die Chance hat, sich ein Platz im Herzen der Kunden zu sichern.
Erfolg fällt nur jenen zu, die sich darauf vorbereitet haben – luck favors the prepared!
Von Jan-Erik Baars | August 2019