Design nach Corona: Systemrelevant

Design nach Corona: Systemrelevant

Von Jan-Erik Baars | Mai 2020

Die Marktwirtschaft kennzeichnet sich durch eine Vielfalt an Leistungen aus, die angeboten werden. Was wir als Grundlage, und womöglich daher als systemrelevant, erachten, sind die Rohstoffe, die wir für unsere Wirtschaft und unser Dasein benötigen: sie sind das ‚Einstiegsniveau‘ fürs Wirtschaftsleben. Was bedeutet das fürs Design?

Rohstoffe sind wichtig, ohne sie geht nichts, aber wir messen ihnen keinen besonderen Wert bei, es sei denn, sie sind selten oder begehrt.
Erst wenn wir Güter erzeugen, die für Menschen einen direkten Nutzen darstellen, messen wir diesen einen höheren Wert bei. Darüber steht die Dienstleistung, die Güter und Rohstoffe im Rahmen eines Service anbieten. An der Spitze der ökonomischen Wirtschaftsleistung steht das Erlebnis, das den Menschen eine, über den Nutzen hinaus, sinnstiftende Leistung bietet.
Diese Hierarchie der Wirtschaftsleistung wurde in den Neunzigern von Pine und Gilmore trefflich beschrieben. Je höher die Relevanz für Kunden, so die Forscher, desto höher die Preisgestaltung und der wahrgenomme Wert.

In einer Krise fällt, eben durch den Wegfall der Liquidität, die Leistung der Wirtschaft zurück auf das Niveau der Güter und Rohstoffe. Während der Corona-Krise machen die Rohstofferzeuger und Produzenten von Gütern des täglichen, einfachen Gebrauchs noch Geschäfte. Alles was eine Dienstleistungskomponente hat, oder, schlimmer noch, eine Erlebniskomponente, wird vorerst am Wirtschaftsleben nicht mehr teilnehmen. Und gerade in diesen Leistungen hat Design seine wohl wichtigste Rolle. Es verhilft Unternehmen, Erlebnisse auf Kundenrelevanz auszurichten und vor allem diese so differenziert zu gestalten, dass man sie von denen der Mitbewerber abheben kann.

Diese Rolle wird derzeit kaum noch genutzt, zurück bleibt nur das Systemrelevante. (Als Randnotiz: Dies erklärt vielleicht auch, dass wir dem Systemrelevanten nur dann Aufmerksamkeit schenken, wenn wir keinen Zugang zu dem ‚Darüberliegenden‘ mehr haben. Wir schauen beim vermeintlich Wertvollen immer nach oben, als würden wir die Maslowsche Leiter sprichwörtlich erklimmen…)

Was die Autoren der These der „Erlebniswirtschaft“ beschreiben, ist unser immanentes Streben nach Erlebnissen, oder Transformationen. Daher wage ich die These, dass mit dem Wegfall der Sicherheit und der Liquidität, die Reduzierung der Wirtschaftsleistung auf die Stufe der Rohstoffe nur vorübergehend ist. Wir wollen mit aller Macht wieder zurück ‚nach oben‘! Die Frage ist, wie lange die Krise dauert und wie die Güter, Dienste und Erlebnisse danach gestaltet und angeboten werden sollen. Diese Dauer wird vor Allem geprägt von der Tiefe des Schocks und mit welchem Potenzial und mit welcher Kompetenz die Unternehmen (aber auch die Gesellschaft an sich) aus der Krise schreitet. Können wir die Zukunft gestalten, oder bleibt es beim Verwalten? Schauen wir (vor lauter Angst) nur noch in den ‘Rückguckspiegel’ und sammeln Daten über das, was war, oder schauen wir auch bewusst voraus?

Wie weiter?

Wie schon eingehend gesagt: Wirklich verlässliche Vorhersagen kann man nicht machen, sehr wohl einen Trend beschreiben, quasi einen Gedanken von jetzt in die Zukunft spinnen. Ein Gedanke, der sich jetzt zunehmend aufdrängt, ist der einer Abkehr von Konsum und Wachstum, von globalisierten Märkten und internationaler Freizügigkeit. Jetzt, wo die Grenzen noch geschlossen sind, die Märkte vielfach lokalisiert werden und die Liquidität knapp ist, spinnen nicht wenige diesen Gedanken weiter in eine Wirtschaftsform, die reduzierter, lokaler und nachhaltiger ist. Ich für meinen Teil hoffe in Hinblick auf nachhaltiges Wirtschaften ebenso darauf, aber mit dem Zusatz, dass die Grenzen wieder frei sein müssen, die Welt wieder zusammenhält und die globale Angst einer Zuversicht weicht.
Egal wie fortschrittlich eine nächste Wirtschaft werden soll, wir benötigen für ihre Umsetzung die Gestaltung. Nur mit Verwaltung ist eine solche Zukunft nicht herbei zu führen. Denn wenn nur die Verwaltung die Krise überleben sollte, haben wir vermutlich das Systemrelevante gesichert, aber es fehlt uns an jenen Erlebnissen, die das Leben erst lebenswert machen.

Die Frage bleibt, was bedeutet dies für die Designerinnen und Designer? Mehr dazu in Teil 3

Von Jan-Erik Baars | Mai 2020