Design nach Corona: Quo Vadis Design?
Von Jan-Erik Baars | Mai 2020
Viele Designer und Designerinnen stehen vor einer existenziellen Krise. Ihre Leistung in der Erzeugung von Gütern höherer Klasse und vor allem den Erlebnissen wird mangels Liquidität nicht länger angefragt. Sind wir ehrlich, als systemrelevant erachtet sie kaum jemand und womöglich sind sie es auch nicht – sie sind zukunftsrelevant. Daher benötigen wir Design, jetzt erst recht!
Denn unsere Gesellschaft, ebenso wie die Wirtschaft, strebt nach Erlebnis und Transformation, und somit auch nach Gestaltung. Die Rolle des Designs ist also eindeutig an das Erreichen einer angestrebten Situation gekoppelt, an einer bewusst besseren Situation. Also benötigen wir für die kommenden Schritte, raus aus der Krise, das Design. Ohne Designkompetenz kann es keinen Neu-start geben, wer es ohne versucht, wird die wirtschaftliche Leiter nicht erklimmen können und auf der Rohstoffebene verharren.
Jetzt stellt sich für die Unternehmen die Frage, in welcher Form die Designkompetenz vorhanden ist, wo sie sich nach dem Lock-down wiederfindet und wie sie von den Unternehmen dann wiedereingesetzt werden kann.
Die Designabteilungen
Viele Unternehmen haben über die letzten Jahre eine interne Designkompetenz aufgebaut, mache Firmen schon über Jahrzehnte. Wie man schon in vergangenen Krisen sehen konnte, wirkt sich Liquiditätsmangel vor allem auf die internen Kostenstrukturen aus. Personalkosten z.B. sind eine ‚Last‘, die viele Manager gerne flexibel gestalten würden, erst recht in Krisen. Nicht wenige Unternehmen versuchen daher die Kompetenz, die ja an Menschen hängt, wenn es irgendwie möglich ist, als Gut ein zu kaufen. Da die OpEx (Operative Ausgaben) unter Druck stehen, versuchen die Unternehmen ihre Designkompetenzen entweder in Tochtergesellschaften aus zu lagern, oder sie gleich von externen Dienstleistern zu beziehen, um hier flexibler zu sein und die fixen Kosten zu senken.
Interessant zu beobachten wäre es, inwiefern Unternehmen sich wirklich von ihren internen Designteams trennen. Wenn sie es tun, dann nicht zwingend deswegen, weil sie nicht auf Designkompetenz setzen, sondern womöglich, weil sie sich so für flexibler halten.
Das große Risiko, dass sie damit eingehen, ist, dass die interne Zusammenarbeit empfindlich gestört werden könnte. Designer müssen zwingend in interne Prozesse eingebunden sein, wollen sie einen effektiven Beitrag zur Gestaltung von Erlebnissen leisten. Das, was also nicht outgesourced werden kann, ist das interne Designmanagement, das die Passung von Designarbeiten im innerbetrieblichen Kontext betreut.
Ich erwarte, dass viele Designabteilungen jetzt unter Druck geraten und Stellen abbauen müssen. Mein Rat dabei wäre, vor allem auf den Verbleib von jenen Stellen zu setzen, die eine interne Koordination und Abstimmung der Designaktivitäten regeln. So hart es klingt, kreative Designerinnen und Designer gibt es viele, aber jene, die diese ansteuern und lenken können, nur sehr wenige.
Wer also meint, man könne sich komplett von der Designabteilung trennen und, wenn nötig, die Leistung später mal einkaufen, sägt womöglich den Ast ab, auf dem er sitzt. Ohne interne Gestaltungskompetenz kann man die unternehmenseigene Gestaltungsarbeit nicht umfassend lenken. Eine externe Agentur vermag herausragende Leistungen zu erbringen, aber das Briefing für diese Arbeit muss bereits mit Gestaltungskompetenz erzeugt werden. Ohne interne Designkompetenz geht es nicht.
Das Designmanagement
Das Designmanagement ist jetzt gefragt. Es muss eine Antwort auf die Frage nach Priorität und Relevanz beantworten und Unternehmen darin unterstützen, eine für sie finanzierbare Vorgehensweise zu ermöglichen, die den Zugang zu Designressourcen sichert. Nicht nur in der Krise hat das Designmanagement eine Kernfunktion, denn ihre Rolle, das Design mit den strategischen Entscheidungen der Unternehmung in Einklang zu bringen, ist erfolgsentscheidend: Ohne diesen Einklang können Unternehmen keine konsistenten und kohärenten Erlebnisse erzeugen.
Also gerade in der Krise und in der Zeit unmittelbar danach sollten Unternehmen, die noch keine Designmanagement-Kompetenz aufgebaut haben, sich hier tummeln. Richtig zu entscheiden, was an Designleistungen wo erbracht werden muss, sodass diese sich nahtlos in die Dienst- und Erlebnisgestaltung einbringen können, wird, wie gesagt, Match-entscheidend sein. Jene Unternehmen, die mit optimierter Liquidität das Beste aus ihren Designaktivitäten machen können, werden als Erste von den wiederkehrenden Kunden wahrgenommen. Man muss also nicht am Design sparen, sondern das Sparen designen!
Designmanagement spielt nicht nur in der Kostenoptimierung eine wichtige Rolle, auch in der Koordination der Designaktivitäten untereinander, damit ein einheitliches Kundenerlebnis über alle Touchpoints hinweg entstehen kann.
Leider ist diese Kernkompetenz rar und nicht wirklich etabliert. Zu stark wirkt derweil noch die Anziehungskraft der reinen Kreativität von Designspezialisten. Aber wie schon oben erwähnt, erst in der optimalen Passung wird aus Kreativität ein für Kunden relevantes Angebot.
Leider befürchte ich, dass viele Unternehmen das Potential von Designmanagement nicht erkennen und lieber grundsätzlich Design-bezogene Kosten vermeiden, als diese zu optimieren. Dies wird sich für Viele als folgenschwerer Fehler herausstellen. Sind sie erst einmal jenseits der Krise, stellen sie fest, dass sie für Kunden nicht mehr attraktiv sind: sie haben die Option ‚zurück nach oben‘ zu gehen verloren und werden weiterhin wie Rohstoff-Hersteller behandelt und müssen sich über den Preis im Wettbewerb behaupten. Das Rennen wird jenes Unternehmen machen, das auf der Ebene der Erlebnisse und Dienste gestalten kann und so den Vorzug der noch vorsichtigen Kunden erhält.
Agenturen und Freelancer
Die Gestalter und Gestalterinnen in Agenturen sind sehr hart von der Krise getroffen, viele Agenturen stehen jetzt fast still, da der Geldfluss gestoppt ist. Besonders Leistungen, die an vertriebliche Aktivitäten gebunden sind, werden storniert oder verschoben. Als Partner in einer Agentur fiebere ich mit vielen Kollegen mit, die hoffen, dass sich der Geldfluss wieder in Gang setzt, denn die eigenen Liquiditätsvorräte sind gewöhnlich sehr klein. Nach nur wenigen Wochen ist der Puffer verbraucht und es geht an die Substanz. Viele Agenturen werden diese Krise nicht unbeschadet überleben, falls überhaupt… Jene, die es schaffen in die Kurzarbeit zu flüchten, harren aus, sind aber dann nicht wirklich in der Lage, flexibel auf Bewegungen im Markt zu reagieren. Jene, die sich ‚gesundschrumpfen‘, indem sie die Belegschaft kürzen und die Kosten herunterfahren, laufen die Gefahr, nicht mehr flexibel zu sein, wenn der Markt wieder anzieht: ein Dilemma.
So oder so werden viele Agenturen am Ende des Jahres auf eine Halbierung der Umsätze blicken und hoffen, dass es sich 2021 bessert.
Vor allem sind jetzt die kleinen Agenturen und Freelancer gebeutelt, die oft nur sehr kleine Mandate haben und quasi „von der Hand in den Mund“ leben. Sie sind in jeder Krise die ersten Opfer, aber auf Grund der überschaubaren Kostenstrukturen, oft auch die Ersten, die wieder aus den ‚Trümmern‘ aufstehen und sich anbieten. Das, von allen kleineren Agenturen und Freelancern, herbeigesehnte Anziehen der Vergütungen und Preisniveaus scheint jetzt auf lange Sicht nicht mehr möglich. Die prekäre Lage vieler Freelancer und Agenturen kann sich extrem verschärfen.
Auf der anderen Seite ergibt sich für einige die Möglichkeit, auf das Bedürfnis der Firmen zu reagieren, die ihre Belegschaft im Design abbauen und flexibler agieren möchten. Hier ist zu beobachten, inwieweit die freigewordenen Stellen sich nicht in weitere Freelancer-Stellen umwandeln werden, was die Lage noch verschärfen könnte. Die einst gelobte Gig-Economy könnte sich als Sammelbecken für prekäre Existenzen entwickeln, wenn es zu einem Überangebot von Anbietern kommt. Womöglich verstärkt sich jetzt auch der Ruf aus den Unternehmen nach einem Grundeinkommen für alle, denn sie wollen ja auch nicht, dass ihnen der Markt von Freelancer völlig wegbricht… ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Zukunftssicherung
Wenn es also in der Krise vor allem darum geht, die Unternehmen abzusichern, dann macht eine Fokussierung auf das, was wirklich nötig ist, Sinn. Alles, was nicht überlebensnotwendig ist, kann weg. Überlebensnotwendig ist allerding nicht nur, was man aktuell zum Überleben benötigt, sondern auch das, was man nach der Krise dringend braucht: Kunden, die gerne wiederkommen! Diese dann zu beglücken, gelingt nicht mit einer ausgemergelten Organisation und unattraktiven Angeboten. Worauf es dann ankommt, ist, was Dieter Rams schon wusste: Gutes Design ist so wenig Design wie möglich. Nur, es muss halt gut sein!
Von Jan-Erik Baars | Mai 2020