Alle Blicke richten sich auf den CEO

Von Thomas Huber | Juni 2014
Die Positionierung eines CEO ist nicht seine Privatangelegenheit, sondern ein strategisches Instrument der gesamten Unternehmenskommunikation. An seiner Reputation hängt zunehmend das Wohl und Wehe einer Unternehmensmarke und fast die gesamte Außenwahrnehmung eines Unternehmens. Nähert man sich von außen (zum Beispiel als Journalist) einem Unternehmen, dann stehen neben dem Marketing-Kauderwelsch und kryptischer Powerpoint- Präsentationen oft nur die Reden und Interviews des „Großen Vorsitzenden“ als elaborierte und authentische Äußerungen zur Verfügung, um die strategische Ausrichtung auf den Markt und die kulturelle Selbstverortung der Organisation zu entziffern.
Letztlich kommt es im Unternehmen auf den CEO an: Er orientiert Stakeholder draußen und organisiert drinnen Gefolgschaft. Sein Handeln, seine Glaubwürdigkeit, seine Persönlichkeit, seine soziale und kulturelle Diskursivität, seine narrative Kraft, sein Charisma und sein Auftreten stehen unter verschärfter Beobachtung immer anspruchsvollerer Kapitalmärkte, immer selbstbewussterer Konsumenten und immer transparenterer digitaler und sozialer Medien.
Aufgrund des hohen Stellenwerts der CEO-Positionierung für den Kommunikationserfolg der gesamten Unternehmensmarke ist es fast schon fahrlässig, die Entwicklung der strategischen Kommunikation nur dem Küchenkabinett des CEO zu überlassen. Die diskrete Kabinettspolitik im eingeschworenen Kreis der engsten Vertrauten, Unternehmensberater, Redenschreiber und Medientrainer ist in vielen traditionellen Unternehmen mit patriarchalischen Führungsstrukturen immer noch üblich und geht allzu oft am Leiter Unternehmenskommunikation vorbei.
Heute aber zählt Transparenz nach innen und außen. Es geht um die Koordination der Strategien und Kampagnen sowie um effizientes Themenmanagement. Die Agenda des CEO benötigt dringend die Rückanbindung der Unternehmenskommunikation im Führungskader und eine Verankerung der Botschaften bei den Mitarbeitern. Oft lässt sich beobachten, dass die im Inner Circle festgelegten Themen der CEO-Agenda gar nicht in die Narration des Unternehmens eingebaut werden. Weder bei den in ihrer Bedeutung wachsenden unternehmenseigenen Medien noch in den vielfältigen öffentlichen Äußerungen.
Die Komplexität moderner Unternehmenskommunikation erfordert ein hohes Maß an Management und Koordinationsleistung zwischen der gewachsenen Zahl von Kommunikationsdisziplinen, die intern mit einer Zunahme von Abteilungen und Mitarbeitern und extern mit immer mehr Dienstleistern und Spezialisten einhergeht. Gleichzeitig muss der Kommunikationschef die Komplexität reduzieren, sie für Vorstände in entscheidungsfähige Konzepte übersetzen und diese in die vorhandene Unternehmensstrategie einbinden.
Je stärker im Zuge der Globalisierung und des War for Talents die klassischen Bindungskräfte einer Arbeitgebermarke nachlassen, desto wichtiger wird diese Fähigkeit des Unternehmenskommunikators zur Organisation von „Gefolgschaft“ und Zustimmung in der Organisation. Anders als vielleicht noch vor zehn Jahren stehen dabei nicht mehr autoritäre Topdown-Prozesse im Mittelpunkt, sondern das mühselige Geschäft der Überzeugungsarbeit, Partizipation und Einbindung sehr unterschiedlicher Interessen innerhalb eines Unternehmens.
Die Aufgabe der internen Unternehmenskommunikation hat sich deshalb von einem Instrument der Herrschaftsausübung zu einem wichtigen Managementinstrument von Veränderungs- und Innovationsprozessen gewandelt. Damit ist auch die Bedeutung der Kommunikation für die Wertschöpfung deutlich gestiegen. Das Gleiche gilt für die Erwartungen von außen: Ein Unternehmenskommunikator muss auch in der externen Kommunikation eine sehr weitgehende Transparenz etablieren, um im Dialog mit den Stakeholdern den gewachsenen Ansprüchen an ethisches und nachhaltiges Unternehmenshandeln glaubwürdig gerecht zu werden.
Gleichzeitig muss ein Unternehmen, das erfolgreich sein will, sich selbst auch diskursfähig machen und das Management mit den globalen Veränderungen und den Megatrends wie Globalisierung, Klima, Energie, Demographie und Urbanisierung vertraut machen. Dabei gilt es, die soziale und ökologische Agenda eines Unternehmens widerspruchsfrei mit seiner Equity Story für die Kapitalmärkte in Einklang zu bringen. Der Blick über den eigenen Tellerrand bekommt dabei eine fast schon existenzielle Bedeutung. Damit ist keine Trendforschung gemeint, sondern der schonungslose Blick auf das eigene Handeln und die Bedeutung, die dieses Handeln in den Augen anderer hat.
Das heißt: Kontextualisierung statt Binnenperspektive. Beispielsweise muss ein Automobilunternehmen lernen, dass das Automobil trotz Mobilitätsboom in den Schwellenländern bei uns in Europa langsam am Ende seiner Geschichte angekommen ist. Die Finanzbranche muss endlich akzeptieren, dass die Währung „Vertrauen“ an sie auf lange Zeit nur noch mit Kleingeld ausgezahlt wird.
Diskurs statt Dialog
Um sich gegenüber globalen Trends und in der öffentlichen Meinungsbildung zu behaupten, muss die strategische CEO-Kommunikation eine Narration entwickeln, die das Unternehmen und seinen Lenker mit den Diskursen verlötet, um die es in seinem spezifischen Kontext geht. Dieser Zusammenhang wurde in den letzten beiden Jahrzehnten in der Unternehmenskommunikation und PR-Branche stark vernachlässigt.
Als Ende der 90er Jahre Georg Franck seine Theorie von der Ökonomie der Aufmerksamkeit veröffentlichte, setzte sich sein Kerngedanke in einer populären Variante sehr schnell durch: Dass in unserer Mediengesellschaft die Prominenz das wertvollste Kapital und die Aufmerksamkeit die wichtigste Währung sind. Fortan erhöhte man die Lautstärke und die Reichweite der Public Relations und vernachlässigte die Arbeit an der strategischen Positionierung. Doch die Investitionen in Lautstärke und Reichweite und in den gerade allerneuesten digitalen Medienkanal rechnen sich nicht, wenn diese Instrumente zwar das perfekte Broadcasting von Unternehmensbotschaften leisten, aber keine echte Überzeugungsarbeit zustande bringen. Da reicht es nicht, überall Dialogbereitschaft zu signalisieren und die Schleusen der sozialen Medien zu öffnen: Hier muss die strategische Analyse an den Beginn der Kommunikationsstrategie gesetzt werden. Diskurs statt Dialog.
Der Ort, an dem diese Diskurse geführt werden, sind nach wie vor die klassischen Medien. Sie sind die Plattformen der bürgerlichen Öffentlichkeit: Hier werden die allgemeinen Fragen der Gesellschaft verhandelt. Und nach wie vor – oder besser gesagt: immer noch – werden die Diskurse von den klassischen Medien strukturiert und (noch) nicht von den digitalen und sozialen Medien. Deshalb sollten die klassischen Medien viel selbstbewusster sein. Und ihre Rolle in der bürgerlichen Öffentlichkeit endlich wieder ernst nehmen, anstatt sich immer weiter in die Krise zu reden und zu schreiben.
Die symbolische Auseinandersetzung zwischen Print- und Online-Redakteuren geht jetzt schon in ihr zehntes Jahr und führt längst zu intellektuellen Lähmungserscheinungen. Der Streit ist zum Material einer sozialen Auseinandersetzung geworden, eines „Turniers um Etablierung, ausgefochten auf den Bahnen einer intellektuellen Kampfstätte“ (Pierre Bourdieu). Auf der digitalen Seite äußert sich ein kulturelles Jungtürkentum, es geht um die Etablierung einer selbsternannten Bohème durch „Rebellion“ gegen den etablierten Medien-Mainstream. Gegen diesen Mainstream der Medien formiert sich aber auch in jüngster Zeit inmitten der Gesellschaft ein unheilvolles Misstrauen, das in den Tiefen der sozialen Netze verschwörungstheoretisch vor sich hin wuchert.
Deshalb sollten die Unternehmen die Funktion der bürgerlichen Öffentlichkeit sehr viel ernster nehmen und ihrer Verantwortung in einer demokratischen Gesellschaft gerecht werden, indem sie mit mehr kommerzieller Kommunikation für eine bessere wirtschaftliche Ausstattung der klassischen Medien sorgen. Und anderseits sollte die Unternehmenskommunikation die klassischen Medien sehr viel ernster nehmen und wieder das überzeugende Gespräch mit Journalisten und damit den Diskurs mit der Öffentlichkeit suchen, anstatt sich hinter Werbekampagnen zu verbergen.
Der Shift von der Attention zur Aboutness
Diskurse sind nach Michel Foucault mehr als bloße Sprache. Über den sprachlichen Kern hinaus etabliert sich das Gesagte als Praxis. Diskurse regeln Ein- und Ausschlüsse, sie organisieren Macht und Teilhabe. Sie bilden ein Ensemble von gesprochenen und geschriebenen Worten, Gesten, Gewohn-heiten, Codes und Ritualen. Diese Praktiken definieren eine zusammenhängende diskursive Formation. Strategische CEO-Kommunikation muss vor diesem Hintergrund präzise und gewissenhaft an diesem Ensemble arbeiten. Es geht nicht nur um Sprache und Inhalte, sondern auch um Gesten und Praktiken eines Unternehmenslenkers. Und es geht darum, dass der CEO eine Ahnung vermitteln können muss, von dem, was er da eigentlich tut. Man erwartet heutzutage von einem CEO, dass er sich auf seinem Feld gut auskennt und sozusagen in seinem Diskurs zuhause ist. Was macht seine ökonomische und kulturelle Praxis eigentlich aus und was be-deutet das konkret für die Gesellschaft? Diese Bedeutung ist dabei immer Ergebnis einer Konstruktion aller am Diskurs Beteiligten. Insofern ist diese Bedeutung auch gestaltbar und beeinflussbar von seinem zentralen Akteur – dem CEO.
Im Zusammenhang mit Andy Warhols Brillo Boxes wurde in der Kunsttheorie das Wort von der „Aboutness“ eingeführt. Die Topfreiniger-Kartons im Supermarkt scheinen eine ziemlich klare Bedeutung zu haben. Warhols Brillo Boxes hingegen handeln davon, wie wir unsere Lebenswelt – inklusive der Topfreiniger – erst durch die Art, wie wir uns ihr zuwenden, sie anschauen, definieren und beschreiben, selbst erschaffen und dabei die Bedeutungen der Dinge und Verhältnisse festlegen. Kunst ist hierbei nur eines, aber ein besonders vielseitiges Mittel der bedeutungsvollen Welterzeugung.
Wir sind alle hineinversetzt in eine bereits bedeutungsvolle Welt. Unser Blick auf die Welt ist niemals ein „unmittelbarer“, sondern immer schon ein bedeutungsvoller. Und wir selbst sind es, die Symbole, Zeichen und Deutungen hervor- und in Umlauf bringen. Bedeutungen haben Geschichte(n), sie sind stets umstritten und werden daher in öffentlichen Auseinandersetzungen entweder beglaubigt oder verändert. Wir erleben ständig, wie sich die Bedeutung fixieren oder verschieben kann.
Wir wissen, was eine rote Ampel bedeutet; aber bereits wenn jemand mit einem launischen „meinetwegen“ auf eine Bitte antwortet, sind wir nicht ganz sicher, wie diese Bemerkung gemeint war, und achten daher sehr auf den Tonfall, in dem sie gemacht wurde. Nichts versteht sich von selbst, alles verlangt die Arbeit der Bedeutungsauslegung.
Deshalb ist die Aufgabe strategischer CEO-Kommunikation an erster Stelle die Analyse aller relevanten Diskurse, in deren Schnittmenge sich das Unternehmen und sein Vorstandsvorsitzender befinden. Dann kann man mit der „Arbeit an der Bedeutung“ beginnen und daraus eine kommunikative Positionierung ableiten, die dann auf den Bühnen der Aufmerksamkeit inszeniert werden kann. Wenn die Unternehmenskommunikation und Public Relations den Shift von der Attention zur Aboutness schaffen, dann können sie auch die Sinnhaftigkeit ihrer Kampagnen besser begründen, weil die Botschaften dann überzeugender sind. Dass sich damit auch die Interessen und die Agenda eines Unternehmens in der öffentlichen Meinungsbildung effizienter und transparenter durchsetzen lassen, liegt auf der Hand.
Von Thomas Huber | Juni 2014
